SPD Zwischen Parteiführung und Basis verläuft ein Riss. Die „da unten“ verstehen nicht mehr, was die „da oben“ machen, Commentiert Simone Schmollock in der Wochen Zeitung der Freitag.
Es gehe ihm gut, sagt Martin Schulz am Sonntagnachmittag in die Mikros und Kameras. Der SPD-Parteitag in Bonn hatte gerade beschlossen, Koalitionsgespräche mit der Union aufzunehmen. Das fühlt sich für den Parteichef natürlich prima an, eine Mehrheit der Delegierten, wenn auch eine knappe, folgt seiner Agenda. Es geht voran.
Ein genauer Blick auf Schulz indes erzählt eine andere Geschichte. Schulz sieht aus, als wollte er sagen: Lasst mich doch einfach in Ruhe. Der Parteichef wirkt erschöpft, müde, abgekämpft. Das kann an den vergangenen Wochen liegen, an der GroKo-Werbetour, mit der Schulz durchs Land zog. Kaum Schlaf, immerzu reden, und kämpfen, kämpfen, kämpfen. Wer soll da noch frisch aussehen?
Man kann Schulz aber auch anders lesen, als eine Art Verkörperung grundsätzlicher Ermüdung. Oder zugespitzt formuliert: Schulz’ derzeitige Aura verrät weniger über den Mann selbst und mehr über den Zustand der SPD. So ermattet wie Schulz derzeit wirkt, so schwach ist seine Partei. Darüber kann nicht einmal der Aktionismus von Fraktionschefin Andrea Nahles hinwegtäuschen, die Schulz mit ihrer mitreißenden Rede und dem Satzungetüm „Wir werden verhandeln, bis es quietscht“ die Show gestohlen hat. Ebenso wenig die Jugend und die Frische des Juso-Vorsitzenden und GroKo-Gegners Kevin Kühnert.
Die Partei ist zerrissen, 56 Prozent Zuspruch für eine GroKo-Neuauflage sind keine stabile Basis. Wie soll sich dieser zerstrittene Haufen in einer Koalition behaupten? Wie will er die Sondierungsergebnisse der vergangenen Wochen nachverhandeln, wenn er es nicht einmal schafft, sich selbst zu organisieren? Das quietscht jetzt schon.
Und man ahnt: Egal, wie die weiteren Verhandlungen demnächst aussehen, sie werden nicht reichen, um vor allem die Parteibasis zu befrieden. Der Riss verläuft nicht nur innerhalb der Partei, sondern vor allem zwischen der Parteiführung und der Parteibasis. Die „da unten“ verstehen nicht mehr, was die „da oben“ machen. Dafür gibt einen schönen Begriff: Entfremdung.
Schulz hatte das erkannt und seiner Partei nach der Wahlschlappe im September die Oppositionsbank verordnet. Dass daraus nichts wurde, ist nicht allein ihm anzulasten. Aber er muss den Schlamassel jetzt managen. Und nachverhandeln, nachverhandeln, nachverhandeln: Familiennachzug für subsidiäre Geschützte, Bürgerversicherung, Obergrenze beim Zuzug von Geflüchteten.
Tut Schulz das nicht, verlieren er und seine Partei das letzte Stückchen Glaubwürdigkeit. Indes: Es ist noch gar nicht ausgemacht, dass es tatsächlich zu einer Koalition kommt. Immerhin muss noch die Parteibasis entscheiden, ob sie das überhaupt will. Und die GroKo-Gegnerinnen und Gegner wirken derzeit weniger müde als Parteichef Schulz